RECONQUISTA

  • Haplogruppen weltweit

    Dominante Haplogruppen weltweit

    Nachdem wir in den letzten beiden Ausgaben erörtert haben, was Haplogruppen sind und wie sie sich in Europa verteilen, wollen wir nun die Perspektive erweitern und untersuchen,  welche Haplogruppen in welcher Weltregion auftreten.

    Als Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts die Möglichkeit ins Auge gefasst wurde, direkte Abstammungslinien über „Haplogruppen“ zu rekonstruieren, beschäftigte man sich zunächst mit der Untersuchung der mitochondrialen DNS, die stets und ausschließlich von der Mutter unverändert an ihre Kinder weitergegeben wird. Mitochondrien kommen in jeder einzelnen Körperzelle in sehr großer Zahl vor, außerdem ist ihr genetisch codierter Bauplan nicht sonderlich komplex – so ist es verhältnismäßig einfach, auch aus sehr alten Knochenfossilien mtDNS zu gewinnen und zu analysieren, um weibliche Abstammungslinien zu rekonstruieren.
    Später erkannte man, daß auch männliche Linien sich durch Untersuchung der DNS des Y-Chromosoms, das immer nur vom Vater an seine Söhne weitergegeben wird (Frauen haben keins), rekonstruieren lassen. Das Y-Chromosom transportiert, obwohl es sich um das kleinste Chromosom handelt, wesentlich mehr Erbinformation als die mtDNS, zudem trägt jede Zelle nur ein einziges Exemplar. Die Extraktion von Y-DNS aus sehr alten Skelettfunden erweist sich daher als schwierig, und so kommt es, daß wir die mtDNS alter Funde zumeist kennen, während  die Y-Haplogruppe oft nicht bestimmt werden kann.
    Dennoch sind gerade Informationen über männliche Wanderungsbewegungen besonders interessant. Schon früh war den Forschern aufgefallen, daß die Verteilung der weiblichen mt-Haplogruppen innerhalb bestimmter Gruppen zwar für jede Ethnie ein charakteristisches Bild ergibt – zugleich sind aber jene Verteilungen für benachbarte Gruppen meist außerordentlich ähnlich.
    Aussagekräftiger für die Unterscheidung bestimmter Ethnien ist dagegen die Zusammensetzung der Y-Haplogruppen. Daraus hat man den Schluß gezogen, daß sehr oft allein oder vorrangig Männergruppen gewandert sind, während Frauen ihre angestammte Region seltener verlassen. Aus diesem Grund wollen wir auch bei der Untersuchung  der weltweiten Bevölkerungszusammensetzung auf die Verteilung der Y-Haplogruppen schauen. Die mtDNS wird in einem eigenen Kapitel dieser Serie gesondert behandelt.

    Die weltweite Verteilung der Y-Haplogruppen

    Die Vorstellung, daß der moderne Mensch vor etwa 200.000 in Afrika entstanden sei, ist durch fossile Funde in den letzten Jahren zweifelhaft geworden. Doch trotz der zahlreichen Anomalien, die ebenfalls an anderer Stelle thematisiert werden sollen, bildet die Out-of-Africa - Theorie, teils aus Gewohnheit, teils aus ideologischen Gründen, sicherlich aber auch aus Mangel an Alternativen, die Grundlage aller Überlegungen der akademischen Wissenschaft.
    In diesem Sinne sind auch die Y-Haplogruppen so geordnet, daß die ältesten Teile des menschlichen Stammbaums, auf die sich alle anderen Bevölkerungsgruppen zurückführen lassen, in Afrika liegen. Die zeitliche Gliederung und Aufeinanderfolge der Haplogruppen folgt den Buchstaben des Alphabets: „A“ galt lange als älteste Variante, bis noch ältere Y-DNS identifiziert wurde, die man kurzerhand „A0“, „A00“ und „A000“ nannte und dem gesamten Stammbaum vorschaltete. Aus A entstand durch Mutation B, aus B dann C und so weiter.
    Wir verfügen nun über eine ausreichende Informationsgrundlage, um die Wanderungsgeschichte aller bestehenden Y-Haplogruppen nachzuvollziehen.
    Die Y-Haplogruppe A ist wohl in Afrika entstanden und hat ursprünglich, zusammen mit B, den schwarzen Kontinent dominiert. Eine erste Auswanderungswelle führte die Haplogruppe C zunächst in den Nahen Osten und weiter in fast alle Regionen der Erde. Die ältesten Funde von Jägern und Sammlern in Europa gehören zu dieser Gruppe, die hier aber von anderen, nachrückenden Menschen vollständig verdrängt wurde. Die ersten amerikanischen Einwanderer betraten den Kontinent über die Beringstraße und breiteten sich aus – sie wurden von später ebenfalls aus dem Osten nachrückenden Angehörigen der Haplogruppe Q überlagert, die heute den Großteil der amerikanischen Ureinwohner stellt. Lediglich im äußersten Nordosten konnten sich die Menschen der ersten Welle behaupten und bilden dort immer noch die Mehrheit. Auch die australischen Ureinwohner tragen mehrheitlich die Haplogruppe C. Eine erste Siedlerwelle erreichte über das Meer Neuguinea und die polynesischen Inseln. Bis heute sind Kasachstan,  die Mongolei und Teile Nordost-Sibiriens C-dominiert.
    Wohl bereits im Nahen Osten kam es jedoch zu weiteren Abspaltungen: Menschen mit der Haplogruppe D folgten der Südküste Asiens, wo sie bis in die Gegenwart als Minderheit überlebt haben, nach Osten und erreichten Japan. Die Ureinwohner Japans, die Jomon und die Ainu, sind Träger der Haplogruppen C und D. Lediglich in abgeschiedenen Gebieten, in Tibet und auf der Inselgruppe der Andamanen im Indischen Ozean, konnte sich D als dominante Haplogruppe behaupten.
    Ebenfalls im Nahen Osten hat sich die Haplogruppe E gebildet, die nach Afrika zurückgewandert ist und die dort ansässigen Gruppen A und B überlagert und weitgehend verdrängt hat. Afrika ist heute E-dominiert, lediglich in unzugänglichen Refugien gibt es noch starke Populationen der ursprünglichen Bevölkerung: Die Khoi-San, Buschmänner der Kalahari-Wüste, gehören zur Haplogruppe A, die zentralafrikanischen Pygmäen tragen mehrheitlich die Haplogruppe B. Auch im Nahen Osten stellt E einen Teil der Bevölkerung. Ein europäischer Zweig konnte sich bis in den Norden des Kontinents ausbreiten und stellt hier 5% der Bevölkerung Deutschlands.
    Auch die Haplogruppe F muß im Orient ihren Ausgangspunkt gehabt haben. Sie folgte, wie D, der Südküste Asiens, konnte aber nirgendwo einen größeren Anteil an der Bevölkerung stellen. Eine bedeutende Rolle in der Geschichte Europas spielte dagegen die Haplogruppe G: Ihr Entstehungsgebiet lag vermutlich irgendwo im südlichen Kaukasus. Von dort aus breitete sie sich über Anatolien und den Balkan im Zuge der Neolithischen Revolution bis nach Mitteleuropa aus. Haplogruppe G scheint also den Hauptanteil jener Bandkeramiker ausgemacht zu haben, die vor 7.500 Jahren die Landwirtschaft in Europa einführten. Die Gletschermumie „Ötzi“ ist der bekannteste Vertreter dieser Gruppe. Später verlor sie wieder an Boden, als die Konkurrenten der R-Gruppe sich in Europa ausbreiteten. Der Anteil an der europäischen Bevölkerung liegt heute nur noch bei etwa 5%. H wanderte nach Indien und repräsentiert dort die Mehrheit des dunkelhäutigen, dravidischen Menschenschlags.
    Man könnte die bis hierher geschilderte Entwicklung den ersten Akt der Ausbreitungsgeschichte des Menschen nennen. Alle Weltgebiete waren nun besiedelt – doch bis auf die Haplogruppe E, die weite Teile Afrikas „in Besitz“ nahm, ist es keiner der bisher genannten Gruppen gelungen, bis in unsere Gegenwart eine überregional bedeutsame Rolle zu spielen. Der Großteil der heute lebenden Individuen gehört jenen „moderneren“ Haplogruppen an, die erst jetzt entstehen:
     Im Orient oder in Südosteuropa trennen sich die Gruppen I und J. I besiedelt ganz Europa und verdrängt dort die ansässige C-Population. I wird für Jahrzehntausende die klassische Haplogruppe der europäischen Jäger und Sammler und stellt dort immer noch etwa 10 % der Gesamtbevölkerung. Bis heute dominiert I in Skandinavien und im Balkan. 
    J breitet sich im Orient aus und wird dort zur dominierenden Gruppe. 40% der Ashkenasim tragen die Haplogruppe J.
    K, L und M spielen eine untergeordnete Rolle in Ostasien und Polynesien. Doch die aus ihnen entstehenden N, O, Q und R erobern, in einem biologischen Sinne, die Welt. N dominiert heute in ganz Nordasien bis nach Finnland. In den bevölkerungsreichen Staaten in Ostasien, allen voran China, aber auch in Korea und Japan, beträgt der Bevölkerungsanteil der Haplogruppe O gegenwärtig bis zu 90%. Q rückt in Amerika ein und verdrängt den größten Teil der alten Jäger und Sammler der Haplogruppe C. Und R steigt zur führenden Gruppe der westlichen Welt auf: Zunächst erhöht sich der europäische Anteil auf über 50%, dann folgt die Ausbreitung in die Kolonien, etwa nach Amerika. Die beiden dominierenden Haplogruppen O und R machen zusammen einen großen Teil der Weltbevölkerung aus.
    Damit ist die Ausbreitungsgeschichte des Menschen – eigentlich die des Mannes – zumindest in den Grundzügen zusammengefaßt. Es handelt sich gewissermaßen um eine biologische Variante der Weltgeschichte. So beeindruckend auch die absoluten Zahlenwerte sein mögen – Erfolg läßt sich nicht allein durch die Zahl der Nachkommen aus-
    drücken. Schon die traditionelle Geschichte der Welt zeigt uns, daß oft andere Faktoren entscheidender sind, als die bloße Menge von Menschen, die in einem bestimmten Gebiet versammelt sind, und für so manchen klingt der Begriff „Masse“ sogar ein wenig nach Mittelmaß, nach einem Mangel an Qualität, an Besonderheit. Auf der anderen Seite zeigt sich immer wieder, daß auch zahlenmäßig kleine Ethnien durchaus in der Lage sind, eine führende Rolle im Weltgeschehen einzunehmen. Solche Überlegungen sollen zu gegebener Zeit an anderer Stelle wieder aufgegriffen werden.